Kategorien
ROMA

Samy Teicher – An den Bürgermeister von Kirchstetten

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Horsak,

Ich schreibe Ihnen weil ich mit Ihrer Entscheidung die Kunstinstallation von Marika Schmiedt zu verhindern nicht einverstanden bin und ich Ihnen meine Argumente mitteilen möchte.

Sie schreiben “…möchte mich aber strikt gegen die Titulierung „dunkles Kapitel der Ortsgeschichte“, oder „die besondere Rolle, die Kirchstetten bei der Umsetzung des Nationalsozialismus, sowie der maßgeblichen Beteiligung am Holocaust der Roma spielte“, verwahren.
Fast jede Stadt, Gemeinde oder Ortschaft in fast ganz Europa war Ort solcher Gräueltaten und es waren viel zu viele daran beteiligt.”
Da muss ich Ihnen natürlich recht geben, es gibt unzählige Gemeinden in Niederösterreich und wohl auch in ganz Österreich, die daran beteiligt waren. Allerdings macht es einen Unterschied “Ort solcher Gräueltaten” zu sein oder frühzeitig aktiv an der Vorbereitung solcher Gräueltaten beteiligt gewesen zu sein. In der Tat müssten solche Kunstinstallationen in jedem Dorf, in jeder Gemeinde stattfinden.
Ich verstehe zwar nicht den Grund Ihrer Ablehnung, aber was doch verblüfft, ist wie es Ihnen gelingt so gegensätzliche Personen, wie den Nazidichter Weinheber, mit dem international geachteten homosexuellen Dichter W.H. Auden in Zusammenhang zu bringen und damit zu vergleichen.
Ich muss Ihnen in einem weiteren Punkt recht geben: sicher sind ein hoher Prozentsatz ihrer Wähler nach dem Krieg geboren. Sie mögen sich selber keiner Schuld bewusst sein, aber ihre Eltern oder Großeltern haben diese Zeit miterlebt und waren davon geprägt, im positiven wie auch im negativen Sinne, und haben auch ihre Kinder und Enkelkinder geprägt. Es ist daher unerlässlich den jungen Generationen ein Bild dieser Zeit zu vermitteln, welches nicht nur geprägt ist von den eigenen, oft geschönten Erinnerungen, sondern auch von Bildern der damals vertriebenen und ermordeten ehemaligen Bewohner von Kirchstetten. Nur dies kann helfen und dazu beitragen dass Empathie, Menschlichkeit und Mitgefühl für Verfolgte nicht unterdrückt werden sondern sich auch in praktischer Solidarität ausdrückt.
Ich weiss nicht ob Ihre Gemeinde Flüchtlinge aufnimmt – ihrem Brief nach zu urteilen, wohl eher nicht – aber dies ist mein Vorurteil. Denn wenn eine Gemeinde einen Strich unter die Vergangenheit ziehen möchte, bedeutet dies nichts anderes als dass sie die dunklen Flecken ihrer Erinnerung von der Gedächtnislandkarte streichen möchte. Wie wir wissen gelingt dies nicht, im Gegenteil, diese Erinnerungen manifestieren sich später in Wiederholungen und eher in ganz erschreckendem Ausmaß wieder.
Ich hoffe Sie durch diese lästigen Bemerkungen dazu zu bewegen ihren Entschluss bezüglich der Ausstellungsvereitelung rückgängig zu machen und die Kunstinstallation wie geplant stattfinden zu lassen.

Hochachtungsvoll

Samy Teicher

Dipl.- Psych. Samy Teicher
Psychoanalyse (WPV/IPA) – Psychotherapie –
Gruppenpsychoanalyse (ÖAGG)
Supervision – Coaching
email: samy.teicher@chello.at

Hinterlasse einen Kommentar